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Atypischer Lebenslauf eines Kulturwissenschaftlers | JAROCCO Netzwerk für Akademiker

Atypischer Lebenslauf eines Kulturwissenschaftlers = (k)eine Karrierebremse ? (!)

Dieses Mal passt einfach alles zusammen. Die Stellenausschreibung der Kulturstiftung sucht explizit eine Kulturwissenschaftlerin, die gern Berufseinsteigerin sein darf und die geforderten Sprachkenntnisse in Französisch sind dank drei Auslandsemestern auf Verhandlungsniveau. Außer Studienabschluss, Sprachkenntnissen werden lediglich soft skills gefordert und damit ist die Passgenauigkeit mit 100% fast schon überschritten. Welch ein Glück!

Und doch gibt es da gleich zwei Probleme: Studienfachwechsel nach erst 4 Semestern, denn Semitische Philologie war doch nicht das richtige Fach und seit fast einem halben Jahr nach Studienabschluss wurde der Lebensunterhalt in einem Café der Stadt als Bedienung erarbeitet, weil die Angebotssuche für Kulturwissenschaftler der Suche einer Stecknadel im Heuhaufen gleicht. Doch jetzt, wo die Nadel gefunden ist, stehen zwei Fragen im Raum: Wie beide „Schwachstellen“ in die Bewerbung einarbeiten, ohne sich gleich den Weg für das ersehnte Bewerbungsgespräch abzuschneiden?

Eines vorweg: Der Umgang mit vermeintlichen Schwachstellen plagt fast jeden Akademiker, der sich auf dem Arbeitsmarkt bewerben will bzw. muss. Bis auf wenige Wirtschaftswissenschaftler und Juristen, die gleich in die Unternehmensberatung einsteigen wollen, haben die wenigsten einen geradlinigen und geradeaus führenden Ausbildungsweg. Und ist er doch geradlinig, dann ist vielleicht die Abschlussnote nicht unter 2,0 oder die gängigsten Sprachen bzw. (Fach-)Zusatzkenntnisse liegen nicht vor. Denn viel Zeit für ein Praktikum oder gar Auslandsemester gab es nicht, schließlich musste der Bachelor, das Diplom oder Examen strikt durchgezogen werden.

Aus der Sicht des Bewerbers bedeutet dies vor allem eines: In der eigenen Bewerbung nicht lügen, aber auch nicht explizit auf vermeintliche Schwachstellen hinweisen, sie womöglich noch näher ausführen (denn dafür ist im Bewerbungsgespräch genügend Zeit)! Auf Seiten des Personalentscheiders handelt es sich um die Idealbesetzung, d.h. den idealen Bewerber für diese Position, den es meistens jedoch so nur in seiner Vorstellung gibt. Es gilt: Nicht Bange machen lassen von dem gesuchten Über-Menschen.

Studienfachwechsel

Was den beispielhaften Kulturwissenschaftler angeht, muss der Studienfachwechsel im Lebenslauf natürlich auftauchen. Dies gilt so lange, bis mehrere Jahre Berufserfahrung mit mind. 2 oder 3 verschiedenen Arbeitgebern vorliegen. In späteren Berufsjahren ist der Studienfachwechsel ohne Belang. Denn es wird sich aus einer Position heraus beworben, die die Grundlage hierfür ist. Wo das Abitur erworben und mit welchen Schwerpunkten wo studiert wurde ist dann eher nebensächlich.

Achtung! Den Studienfachwechsel im Lebenslauf lediglich benennen, aber keine Gründe hierfür anführen. Die geringe Bedeutung, die Sie diesem zumessen, sollte sich unmissverständlich auch optisch in der Gewichtung widerspiegeln. Zählen Sie Ihre Fächer mit Uni oder Hochschule kurz auf - das reicht völlig aus. Danach haben Sie das Fach Kulturwissenschaften abgeschlossen, evtl. in den Semesterferien noch Praktika absolviert. Beides muss stärker in den Vordergrund gerückt werden als die vier Semester Semitische Philologie und damit der Fachwechsel. Die Gewichtung der einzelnen Stationen im Lebenslauf gibt (auch) Auskunft über Ihre persönliche Einstellung und darauf achten Personalentscheider.

Im Motivationsschreiben ignorieren Sie Ihren Fachwechsel und gehen nicht näher darauf ein. Sicherlich wird im Bewerbungsgespräch nachgehakt, aber dahin müssen Sie erst kommen. Ihre Argumentation können Sie sich später noch zurechtlegen. Arbeiten Sie selbstbewusst mit Ihren Stärken, stellen Sie Ihr Können und Ihre Kompetenzen in den Vordergrund und sagen Sie unmissverständlich, was der Arbeitgeber mit Ihnen gewinnen wird. Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass Sie zwar glauben, den Wechsel erklären zu müssen, dies aber an dieser Stelle (noch) nicht tun.

Ein Studienwechsel bedeutet zunächst, einen eingeschlagenen Weg nicht zu Ende zu gehen. Dabei wird manchem ziel- und orientierungsloses in den Tag hinein leben, oft auch Unbeständigkeit in der beruflichen Entwicklung vorgeworfen. Dass Ihnen der Karriere-Biss fehlt, ist dabei eine reine Unterstellung. Ein Wechsel bedeutet nämlich auch, den Mut für Entscheidungen aufzubringen, um andere Wege zu beschreiten, nachdem das Studium etwa neue Interessen und Neigungen hervorgebracht hat. Auch wenn im späteren Berufsleben Antworten, wie „Veränderungsbereitschaft und Weiterentwicklung, -bildung und -qualifizierung mit der neuen Stelle“ gern gehört werden, heißt das noch lange nicht, dass dies die tatsächlichen Gründe für berufliche Veränderungen und Wechsel sind. Höhere Entlohnung, drohender Konkurs des Unternehmens und die berufliche Sackgasse kommen als tatsächliche Gründe der meisten Berufswechsler wohl schon näher heran.

Artfremde Tätigkeiten

Auch wenn immer wieder kolportiert wird, dass artfremde Tätigkeiten (nach dem Studium) ein großes Problem für den Berufseinstieg in das studierte Fach darstellen, sind dies nur Halbwahrheiten. Jeder Lebenslauf und Berufsweg sind ebenso verschieden, wie die beruflichen Ziele des Einzelnen. Also hören Sie einfach weg! Viele Probleme sind keine, wenn Sie keines daraus machen! Gehen Sie selbstbewusst (nicht lügnerisch!) mit Ihren vermeintlichen Schwächen um und stellen Sie diese im Großen und Ganzen positiv dar. Denn Sie stehen mit staatlicher Unterstützung und vier unbezahlten Praktika eher schlechter da. Zwar haben Sie vielleicht eine nicht artfremde Tätigkeit ausgeübt, doch wirkt das auf Personalentscheider oft orientierungsloser als eine artfremde (Hilfs-) Tätigkeit, um den Lebensunterhalt zu sichern und Bewerbungen zu schreiben. Und Sie öffnen damit eine weitere Tür für das Angebot an unbezahlten Praktika. Schon Wirtschaftswissenschaftler lernen im ersten Semester: Die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Der beispielhafte Kulturwissenschaftler hat nach seinem Studium fast sechs Monate lang in einem Café als Bedienung gearbeitet, also Bestellungen entgegengenommen, Speisen serviert, abgeräumt etc. Diese Tätigkeit muss natürlich im Lebenslauf auftauchen, ansonsten sind die sechs Monate eine klaffende Lücke. Begehen Sie an dieser Stelle nicht den Fehler, einen Arbeitgeber oder die Position neu zu erfinden. Lügner werden schnell entlarvt und Lügen haben bekanntlich kurze Beine.

Im Lebenslauf kommt es auf die Wortwahl und Gewichtung an. Überlegen Sie Ihre Formulierungen daher genau und wählen Sie mit Bedacht. Sie können natürlich schreiben „Tätigkeit als Honorar-/Servicekraft/Bedienung bei Café XY“ oder besser „Mitarbeiterin im Cafè XY“. Ebenso können Sie mit „servieren, bedienen, abräumen“ Ihre Tätigkeiten beziffern oder besser von der „Übernahme/Verantwortung/Koordination/Zuständigkeit Service/Betreuung“ sprechen.

Im Motivationsschreiben sollten Sie, da die Tätigkeit im Café Ihre einzige nach dem Studium ist, sie in irgendeiner Form „verwerten“. Arbeiten Sie hier mit Ihren Stärken, etwa können Sie gut auf Menschen zugehen, beraten, empfehlen und das gleich mehrsprachig. Sie sind belastbar und flexibel (die Arbeitszeiten in der Gastronomie), aber auch hoch motiviert und behalten auch in stressigen Zeiten einen kühlen Kopf (großer Andrang). Denken Sie jedoch auch hier an die Gewichtung, die sich auch nach der Stellenausschreibung richtet und darauf müssen Sie eingehen. Beispiel: Ist in der Stellenausschreibung neben dem geforderten Studienabschluss an dritter Stelle schon eine hohe interkulturelle Kompetenz gefordert (was damit dem Personaler wichtig erscheint, sonst stünde es nicht weit oben in der Ausschreibung), dann greifen Sie diesen Punkt auf. Sie haben nicht interkulturelle Kompetenz etwa im Studium erworben, sondern stellen sie tagtäglich unter Beweis und bringen damit schon Erfahrung mit. Denn im Café wollen internationale Gäste mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen zufrieden gestellt werden.

Zudem ist folgendes wichtig: Stellenausschreibungen für Kulturwissenschaftler gibt es nicht wie Sand am Meer. Auf Ihre gefundene Vakanz werden sich viele mit ebenfalls typischen aber auch atypischen Lebensläufen und guten sowie weniger guten Abschlussnoten bewerben. Wenn der Personaler rund 100 Bewerbungen zu sichten hat, dann entscheidet sich sehr schnell, wer in die engere Wahl kommt und wer nicht. Pro Bewerber bleiben oft nur wenige Minuten. Sie müssen sich positiv von der Masse abheben, damit Ihre Chance auf die Einladung zum Gespräch steigt.

Versuchen Sie daher Ihre Unterlagen so knapp und aussagekräftig wie möglich zu halten. Schwafeln können viele, sich kurz fassen aber nur wenige. Ein Motivationsschreiben, dass nur wenige Sätze beinhaltet und Lust auf mehr macht, ist oft erfolgreicher als ein passgenauerer Bewerber, der eineinhalb Seiten den Lebenslauf runterbetet. Überlegen Sie, warum Sie die beste Wahl sind, was können Sie besonders gut und was gewinnt das Unternehmen durch Sie – immer mit Blick auf die Stellenausschreibung! Beeindrucken Sie doch mal durch ein grafisch-gut gestaltetes Mind-Map, dass auf einen Blick Ihre Fähigkeiten und Kompetenzen auflistet oder durch Arbeitsproben, die Ihre Fähigkeiten belegen.

Was zu beachten gilt:

Lügen Sie niemals! Denn Lügen haben kurze Beine. Ihre werden so kurz, dass Sie vor Schreck gleich an der Stelle sitzen bleiben, wo Sie sich befinden! Bewegung in eine neue berufliche Richtung, zu einer neuen Position hin ist damit unmöglich.

Machen Sie keine Probleme aus Ihren vermeintlichen Schwächen, wie Studienfachwechsel, artfremde Tätigkeiten, Arbeitslosigkeit etc. Gehen Sie selbstbewusst damit um, indem Sie die Punkte im Lebenslauf benennen, aber wählen Sie Ihre Worte mit Bedacht – positiv ausdrücken und auf die Gesamtgewichtung achten.

Im Motivationsschreiben nicht auf Ihre vermeintlichen Schwachstellen näher eingehen oder gar erklären. Lenken Sie die Aufmerksamkeit des Personalentscheiders auf Ihre Stärken, Ihre Kompetenzen und Fähigkeiten.

Arbeiten Sie mit Extras, wie z.B. einem Mind-Map, für die Stelle aussagekräftigen Arbeitsproben oder anderen gestalteten (!) Vorlagen, um sich von der großen Masse der Bewerber nachhaltig abzusetzen. Denn moderne Bewerbungsunterlagen kommen visuell ansprechend und pfiffig daher und bringen das Profil eines Bewerbers sofort übersichtlich auf den Punkt. Was bisher eher von Designern, Entwicklern und Web-Gestaltern praktiziert wurde, wird bei Ihrer Bewerbung als Kulturwissenschaftler sicherlich zumindest einen zweiten Blick des Personalentscheiders provozieren. Und mancher Personalentscheider aus der freien Wirtschaft sieht sich auch gern ein Bewerbungsvideo eines Kulturwissenschaftlers an...

Tipps für Beispielformulierungen:

Arbeitslosigkeit – besser von beruflicher Neuorientierung sprechen

Urlaub im Ausland – besser von privatem längerem Auslandsaufenthalt mit Sprach- und Kulturstudien sprechen

(einfache) Praktikumstätigkeiten – besser von Mitarbeit/Unterstützung der Abteilung XY oder bei der Tätigkeit XY sprechen

Jobs zum Geldverdienen – besser von Mitarbeit/Unterstützung in den Bereichen XY sprechen

Studienfachwechsel – besser im Lebenslauf kurz an- aber nicht ausführen (Beweggründe) im Motivationsschreiben ignorieren

sonstige längere Auszeiten – besser (nur!) im Lebenslauf kurz anführen, etwa gesundheitliche Auszeit, Elternzeit, Pflege etc.